Unsere Lerchenberger Gemeinde
Zur 2000-Jahr-Feier von Mainz 1962 wurde der Stadtteil Lerchenberg geplant – verbunden mit der Errichtung des ZDF-Sendezentrums. Die evangelische Kirchengemeinde wurde am 4. Februar 1968 gegründet, das Gemeindezentrum 1973 eingeweiht und 1993 erweitert.
Seit Anfang 1994 trägt die Gemeinde den Namen „Evangelische Maria-Magdalena-Gemeinde“.
Im Mittelpunkt unseres Gemeindelebens steht der sonntägliche Gottesdienst. Unsere Gruppen und Veranstaltungen haben alle Generationen im Blick - von der Krabbelgruppe „Lerchenzwerge“ bis zum Seniorenkreis. Auch musikalisch ist etwas los: neben dem Kirchen- und dem Gospel-Chor, gibt es einen Kirchenmusikkreis. Der Musikförderverein unterstützt diese Arbeit auch finanziell. Zahlreiche Konzerte in ganz unterschiedlichen Musikstilen locken viele ZuhörerInnen in unseren modernen Kirchenbau. Vervollständigt wird das Angebot durch Ausflüge, Freizeiten und Bildungsreisen für jedes Alter. Höhepunkt ist das Erntedank-Gemeindefest. Eine enge Kooperation besteht mit der Evangelischen Familienbildung Mainz. Der Familientreff auf dem Lerchenberg bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote und Veranstaltungen für alle Generationen. Gemeinsam mit der katholischen St. Franziskus-Gemeinde gibt es den Ökumenischen Gesprächskreis, die Bibelwochen, den St. Martinsumzug und ökumenische Gottesdienste. Unsere Kindertagesstätte mit eigener Krippe legt besonderen Wert auf Sprachförderung und frühmusikalische Ausbildung. Ein neu gestaltetes, über 3000 qm großes Außengelände mit waldpädagogischen Ansätzen ergänzen das Angebot. Gemeinsam mit dem Peter-Cornelius-Konservatorium bieten wir im Ev. Gemeindezentrum altersgerechte Kurse in Elementarer Musikpädagogik an.
Die Gründung der Gemeinde
Als wir am 1.10.67 in unser Haus auf dem Kafkaweg einzogen, gehörten wir zu den ersten Familien hier in der "Jubiläumssiedlung". Es gab viel Matsch, Wasser im Keller und jede Menge Kinder, aber es fehlte die "Infrastruktur", ein Telefonhäuschen und der stündlich verkehrende Bus stellten die einzigen Verbindungen zur Außenwelt dar. Die evangelische Kirche glänzte durch Abwesenheit; einzig der Bescheid zur Zahlung des "Kirchgeldes" machte deutlich, dass die Kirche von unserer Existenz wusste. Eigentlich war es ein Ärgernis, aber wir waren alle so sehr damit beschäftigt, uns einzuleben und mit Hilfe der von meinem Mann gegründeten "Interessengemeinschaft" die Behebung von Baumängeln, Wassereinbrüchen und fehlender Infrastruktur anzumelden, dass es einige Zeit dauerte, bis mein Mann und ich Kontakt aufnahmen zu Herrn Walter, Dekan und Pfarrer in Finthen, der für den Lerchenberg zuständig war. Auch das Ehepaar Jahnke hatte sich bei Herrn Walter gemeldet, denn die „erste Lerchenbergerin“, ihre Tochter Doris, sollte getauft werden. (Unser Sohn Norwin war der erste männliche Lerchenberger, er wurde am 31.1.68 geboren.) Herr Walter war begeistert, dass wir von uns aus aktiv wurden: „Eine solche Gemeinde wünschte ich mir auch“ und so feierten wir dann im Advent 67 an einem Sonntag Nachmittag den ersten Gottesdienst auf dem Lerchenberg und zwar im Keller des katholischen Pfarrhauses Kafkaweg 33; denn die katholische Kirche war schon mit einem Pfarrer zur Stelle. Später folgte dann als Pfarrer Franz Kämmerer. Heute ist die katholische Gemeinde als „St. Franziskus“ bekannt.
Anfang 68 trafen sich auf Initiative von Herrn Bender einige Protestanten reihum in den Wohnzimmern und planten die Zukunft der neuzubildenden Gemeinde. Bald wurden wir ins Dekanat bestellt, um als "Verwaltungsrat" vereidigt zu werden, damit unser Tun offiziellen Charakter bekam. Am 3. 9. 68 beschloss dieses Gremium unter Vorsitz des Dekans in Benders Wohnzimmer Herrn Bender und Herrn Eisenblätter als Vertreter des Lerchenbergs in die "Gesamtgemeinde" zu entsenden und Herrn Rempel und Frau v. Döhren in die Dekanats Synode.
Inzwischen war die Pfarrstelle ausgeschrieben worden und es gab zwei Bewerbungen, einer der Pfarrer hatte für Aufsehen gesorgt, als er beim Erntedankfest die "Pille" mit auf den Altar legte. Da wir uns nicht einigen konnten, wurde von der Kirchenleitung Herr Hermann Petersen als neuer Pfarrer für den Lerchenberg eingesetzt. Das Pfarrhaus in der Büchnerallee war bezugsfertig, so dass die junge Familie dort einziehen konnte und mit "Weck, Worscht und Woi" begrüßt wurde. Nun wurde das Gemeindeleben aufgebaut; es waren ja überwiegend junge Familien mit vielen Kindern, die auf dem Lerchenberg eingezogen waren und natürlich wurde darauf die Planung ausgerichtet. Im Keller des Pfarrhauses fanden z.B. Nähkurse statt, es wurde eine Nachbarschaftshilfe zusammen mit der katholischen Kirche ausgebaut, die sehr effektiv und notwendig war, weil viele Bewohner von außerhalb zugezogen waren und keine Großeltern zum Einhüten greifbar waren. Hier im Keller waren dann auch die Sitzungen des Verwaltungsrats. Die Gottesdienste fanden im Schulbungalow in der Fontane Straße statt, denn nun mussten die Kinder nicht mehr zur Schule in die Stadt fahren, sondern konnten auf dem Lerchenberg in zwei dafür vorgesehenen Bungalows unterrichtet werden.
Das Konzept für den Lerchenberg sah drei unterschiedliche Wohnbezirke vor: die Einfamilienhäuser, die zuerst bezogen wurden, Reihenhäusern und Bungalows, dann die "Punkthäuser" und die "Scheibenhäuser" (Fachausdrücke der Städteplaner); erst deutlich später kam noch die "freie Bauweise" hinzu. Herr Petersen hielt auch in den Foyers der Hochhäuser Versammelungen ab, zusammen mit Frau Christa Springe, Pfarrerin bei der Gossner Mission, um auch die Wünsche der dort lebenden jungen Familien zu erkunden und in das Gemeindekonzept mit aufzunehmen. Das Hauptproblem fast aller Familien waren die fehlenden Kindergartenplätze und so beschlossen wir, auf dem großen Grundstück, das die Kirche schon bei der Planung des Lerchenbergs gekauft hatte, zu allererst den Kindergarten zu bauen. Die katholische Gemeinde setzte ihren Schwerpunkt auf das "Pfarrheim", wo wir nach der Fertigstellung dann auch unsere Gottesdienste feierten und Kirchenvorstandssitzungen (im Keller) abhielten. Die Zusammenarbeit der beiden Gemeinden und der beiden Pfarrer war sehr gut, so dass wir sogar den Bau einer gemeinsamen Kirche planten, was aber vom bischöflichen Ordinariat dann verboten wurde. Wir bauten also zuerst den Kindergarten für drei Gruppen und die Wohnung für die Kindergärtnerinnen. Der Bedarf an Kindergartenplätzen war so groß, dass mit den 75 Kindern, die wir aufnehmen konnten, immer noch ganz viele Kinder nicht berücksichtigt wurden und so beschlossen wir, Vormittagsgruppen und Nachmittagsgruppen einzurichten, damit möglichst viele Kinder betreut werden konnten. Dazu musste extra eine Genehmigung des Sozialausschusses der Stadt eingeholt werden, der sich mit dieser Ausnahmeregelung sehr schwer tat; eine Ganztagsgruppe musste für Härtefälle bleiben, sonst durfte diese Vor- und Nachmittagsregelung laufen. Als die Stadt dann ebenfalls eine Kindertagesstätte einrichtete, entspannte sich die Situation.
Der "Verwaltungsrat", also der provisorische Kirchenvorstand blieb solange im Dienst, bis die allgemeinen Kirchenvorstandswahlen für die EKHN stattfanden. Es gab nun auch Christen aus den inzwischen neu bezogenen Wohngebieten, aus den Scheibenhäusern in diesem Gremium. Ich hatte mich vor der konstituierenden Sitzung mit einigen Damen "verschworen", einen Antrag auf "Rauchverbot" für die KV Sitzungen zu stellen, unvorstellbar für die damalige Zeit, aber dem Antrag wurde stattgegeben Der nächste Schritt war die Planung des Gemeindezentrums. Dem Trend der 70er
Jahre folgend, hielten wir einen Mehrzweckbau für sinnvoll, obwohl der Bau einer Kirche, eines Sakralbaus, in der Planung für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen war. In diesem Gemeindezentrum fand dann das sehr lebendige Gemeindeleben statt, samstags abends Tanzkurs, sonntags morgens Gottesdienst. Die Gemeinde war sehr aktiv, es konnte vieles aufgebaut werden, auch kirchenferne Menschen engagierten sich bei der Gestaltung von Festen und Aktivitäten, hatten Ideen, die sie selbständig durchführten. Es war einfach gut, selbst etwas zu gestalten und aufzubauen. So wie es am Anfang den Ansturm auf die Kindergartenplätze gab, war dann später im Konfirmanden Unterricht „Hochbetrieb“, so dass die Konfirmationen in mehreren Gruppen gefeiert wurden. Um diese Arbeit an jungen Menschen leisten zu können, wurde Herrn Petersen als Vikar Herr Schaab zur Hilfe gegeben.
Verfasserin: Karin v. Döhren
Maria-Magdalena auf dem Lerchenberg
Unsere Gemeinde wurde ja, wie Sie inzwischen alle wissen, bzw. errechnen können, 1968 gegründet und wurde von den Gründern ganz bewusst Ev. Gemeinde Mz.-Lerchenberg genannt. Damit, so die Gründungsmitglieder, war sie eindeutig zuordenbar. Was ja auch stimmt! Ich weiß nicht, ob es innerhalb der Gründungsmitglieder schon Diskussionen über einen spezielleren Namen gegeben hat, aber ich weiß, dass das Thema in jeder Kirchenvorstands-Wahlperiode, in der ich mitgearbeitet habe, irgendwann einmal auf den Tisch kam.
In meiner ersten KV-Periode war es das Ehepaar Kroll, das das Thema mit einem konkreten Vorschlag anging. Herr Kroll, vielseitig interessiert und geschichtsbewusst, schlug Pfarrer Paul Schneider vor, eine Art lokaler Bonhoeffer aus dem Hunsrück, der in der NS-Zeit mutig für seinen Glauben und gegen das Unrecht im 3. Reich eingetreten und im KZ Buchenwald grausam umgekommen ist. (Übrigens hat Dietrich Bonhoeffer ihn den ersten evangelischen Märtyrer genannt, dass er selbst dem gleichen Schicksal entgegenging, hat er zu der Zeit vermutlich noch nicht gewusst.)
Möglicherweise hätten wir als Sargenrother oder Waldalgesheimer oder einer anderen Hunsrückgemeinde diesem Vorschlag zugestimmt, aber uns fehlte einfach jedwede Beziehung zwischen Paul Schneider und unserer Mainzer Neubaugemeinde mit Mitgliedern, zusammengewürfelt aus den verschiedensten Landeskirchen. Dem Namen fehlte Integrationskraft, wir konnten uns dafür nicht erwärmen und eigentlich sahen an sich auch keine Notwendigkeit. Unsere Gemeinde war jung, das Gemeindehaus zwar hässlich, aber sehr funktional und darin war immer was los. Uns beschäftigten ganz andere Themen, wie z.B. Was können wir den vielen Jugendlichen anbieten, die es in Lerchenberg gibt? Wie soll Jugendarbeit aussehen – offene oder geschlossene Form? Wie viel und welche Liturgie brauchen wir? Wollen wir einen ansprechenderen Gottesdienstraum? Wie und wie oft feiern wir das Abendmahl? Was können wir mit den Katholiken, bzw. der katholischen Gemeinde gemeinsam machen?, denn deren Situation war der unseren, zumindest äußerlich, ziemlich ähnlich – zunächst!
Das änderte sich, als Pfarrer Hassemer, ein großer Verfechter der Ökumene, gehen musste und die kath. Gemeinde sich in der Ägide von Pfarrer Beheim, den Traum von einer richtigen Kirche erfüllte, sogar einen berühmten Künstler für ihre Kirchenfenster gewinnen (und bezahlen) konnte und sich auch noch als Schutzpatron einen Heiligen sicherte, der, wenn es eine Beliebtheits-Hitliste für Heilige gäbe, ganz sicher unter den Top-Ten wäre: Franz von Assissi. Damit hatten uns die Katholiken nicht nur einfach überholt, sondern uns nahezu zu einem Mauerblümchen-Dasein verurteilt. Das musste sich ändern!
Unser verzweifelter Kampf um einen Sakralraum begann. Den wir, wenn auch mit vielen Abstrichen, auch endlich zugestanden bekamen. Zufällig fiel dieser in die Amtszeit unserer damals ganz neuen Pfarrvikarin Antje Brunßen, inzwischen besser bekannt als Frau von Kalckreuth. (Ich erinnere mich, dass ich in meiner Begrüßungsrede für Frau Brunßen erwähnte, dass sie sich sicher mit Bauproblemen herumschlagen müsse und sehe noch ihre Miene vor mir, die den tapfer unterdrückten Schrecken widerspiegelte. Ab 1992, als der neue Kirchenraum Gestalt annahm, kam das Thema Namensgebung wieder auf die Tagesordnung. Und siehe da, zumindest im KV hatte sich die Stimmung ganz eindeutig zu Gunsten einer Namensänderung verschoben. Auf einer Kirchenvorsteher-Rüstzeit im März 92 wurde das Thema lebhaft diskutiert und kam nach einer Denkpause von zwei Monaten (wir wollten ja auch nichts überstürzen) im Juni des Jahres auf die Tagesordnung. In jener denkwürdigen Sitzung beschlossen wir mit 9 Jastimmen, bei zwei Enthaltungen, unserer Gemeinde einen Namen zu geben. Damit war zwar sozusagen der Grundstein gelegt, aber noch war kein Name in Sicht. Ich habe gerade eben ganz bewusst gesagt: Zumindest im KV habe sich die Stimmung in puncto Namensgebung geändert, unsere Gemeinde nämlich stand dem Thema eher reserviert gegenüber. Wir wollten sie natürlich in den Prozess der Namensfindung und -gebung einbinden, stießen aber kaum auf Resonanz. So beschlossen wir, am Schluss jeder sonntäglichen Abkündigung um Namensvorschläge zu bitten und im November bei einem bunten Abend das Thema ganz gezielt vor einem größeren Publikum anzusprechen, um uns ein Meinungsbild über die bis dahin gesammelten Vorschläge machen zu können.
Gesagt, getan: Bis November lagen uns folgende Namen vor: Friedensgemeinde, Hoffnungsgemeinde, Bonhoeffergemeinde Paul-Gerhard-Gemeinde, Apostelgemeinde und, schon mit deutlichem Vorsprung, Magdalenengemeinde.
Und an dieser Stelle komme ich auch persönlich mit ins Spiel, denn wenn ich auch nicht mehr genau weiß, ob ich oder Herr Rolle ganz wer anders, allein oder mit mehreren die Maria Magdalene ins Rennen geworfen hat, so weiß ich doch mit Sicherheit, dass ich eine ganz starke Verfechterin dieses Namens war, allerdings in der oben genannten Kurzform: Magdalenengemeinde! Doch dazu später.
Natürlich haben wir einzelnen Kirchenvorstände auch nach Namen gesucht, haben uns die Köpfe zerbrochen, jeder seinen eigenen natürlich und haben die Bibel gewälzt, denn es zeigte sich sehr schnell, dass die meisten von uns einen biblischen Namen favorisierten, mit eindeutiger Tendenz Richtung Neues Testament. Und das war gar nicht so einfach! Zuerst fallen einem dabei ja natürlich die 4 Evangelisten und die 12 Jünger ein. Aber die bekanntesten waren längst vergeben, die weniger bekannten sagten uns nicht zu, es hätte uns immerhin noch Bartholomäus, Thaddäus, Simon Kananäus oder Levi zur Verfügung gestanden, aber ich befürchte, die Gemeinde hätte uns die Leviten gelesen, wenn wir mit so ausgefallenen Vorschlägen gekommen wären. Auf Heilige können wir Evangelischen ja leider nicht zurückgreifen, vielleicht auch Gott sei Dank, wenn man sich nämlich so manchen Heiligen genauer besieht, so kann man schon ins Grübeln kommen. Aber das nur nebenbei.
Was also tun?
Warum ich oder wir als einigermaßen aufgeklärte, moderne Frauen nicht schon viel eher drauf gekommen sind, dass es in dem Personenkreis um Jesus schließlich auch etliche namentlich bekannte Frauen gab, und an erster Stelle natürlich, abgesehen von der Mutter Jesu, stand da klar und deutlich Maria aus Magdala, das ist mir immer noch ein Rätsel. Ein Frauenname - das war’s doch! Nie zuvor war der Zeitpunkt für einen weiblichen Namen so günstig, denn schließlich hatten wir erstmalig eine Pfarrerin (die sich übrigens ganz neutral aus der Diskussion heraushielt, um sich keinem Vorwurf der Parteilichkeit oder des Feminismusses auszusetzen), und der Kirchenvorstand wurde auch immer stärker von Frauen dominiert. Das einzige Problem, das wir sahen und das dann auch in einem gewissen Maße eintrat, waren die Männer. Und das gleich im doppelten Sinn: Erstens waren es die lebenden, heutigen Männer, die mit hoch-gezogenen Augenbrauen auf die Maria blickten und zweitens waren es die damaligen Männer, die man ebendieser Maria nachsagte. Ging ihr doch der Ruf voraus, eine große Sünderin, also eine Dirne gewesen zu sein? Durfte man seine Kirche, seine Gemeinde nach einer Hure benennen? Da galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten: Wir recherchierten: Maria wird mindestens 15 mal in allen vier Evangelien und in der Apostelgeschichte erwähnt. Sie gehört zu den Frauen, die Jesus geheilt hatte und die bei ihm blieben. In Luk.8, 2 heißt es: Bei ihm waren etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte, nämlich Maria, genannt die aus Magdala, aus ihr waren sieben Dämonen ausgefahren. Sie gehörte also nach dem Text zu den Besessenen, wir würden heute sagen, sie war psychisch krank, vielleicht depressiv oder litt an Wahnvorstellungen oder anderem, wir wissen es nicht. Was wir mit Gewissheit sagen können, ist, dass sie nach ihrer Heilung zu den treuesten Anhängern Jesu gehörte, dass sie ihn auch in seiner schwersten Stunde nicht verlassen hat und tapfer unter seinem Kreuz aushielt, und dass sie ihm so nahe stand, dass er ihr als erste nach der Auferstehung begegnete.
Übereinstimmend wird sie in allen vier Evangelien als erste Zeugin der Auferstehung genannt. Und das muss den Jüngern damals ganz schön zu schaffen gemacht haben und ganz schön schwer gefallen sein, ihr diesen Rang zuzubilligen und sie nicht einfach zu übergehen und tot zu schweigen. Sie hat ihn zuerst gesehen und mit ihm gesprochen. Wir alle kennen die anrührende Geschichte, wie sie am Ostermorgen trostlos am leeren Grab steht, beim Weggehen plötzlich eine Gestalt vor sich sieht, die sie im Gegenlicht nicht erkennen kann und für den Gärtner hält und wie sie erst beim Klang ihres Namens Maria das Unglaubliche, nicht Erfassbare erfasst und glaubt.
(Übrigens habe ich mich jahrelang sehr rebellisch mit den Worten Jesu in der Lutherübersetzung herumgeschlagen: Berühre mich nicht. Warum? Thomas und die anderen Jünger durften ihn doch berühren! Warum sie nicht? Ich fand das immer richtig ungerecht, inzwischen habe ich in anderen Übersetzungen gelesen: Halte mich nicht fest. Das klingt doch ganz anders und hat auch eine andere, tiefere Bedeutung!)
Also, soweit unsere Recherchen.
Dass in der christlichen Legendenbildung und Tradition die Geheilte aus Magdala, von der Lukas erzählt, mit der Sünderin auch aus dem Lukasevangelium vermischt wurde, ist die persönliche „Tragödie“ der Maria Magdalena, da das aber alles erst Jahrhunderte nach ihrem Tod passierte, hat es ihr nicht mehr weh getan. Ich zitiere aus Lukas 7, 37 ff: Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als sie vernahm, dass er zu Tische saß in des Pharisäers Haus, brachte sie ein Glas mit Salbe, wusch seine Füße mit ihren Tränne und trocknete sie mit ihren Haaren und salbte sie … . In diesem Text tritt das corpus delicti auf, das zu der Verwechslung führte: das Salbgefäß! Das Salbgefäß, mit dem Maria Magdalena immer dargestellt wird, ihr Erkennungszeichen sozusagen, so wie der Schlüssel bei Petrus, meint natürlich das Gefäß, das sie am Ostermorgen in den Händen trägt, um den Toten zu salben, dieses Erkennungszeichen aber ist halt auch ganz leicht mit dem Salbentopf der Sünderin zu verwechseln. Woher sollten die Menschen im Mittelalter, in dem nur die wenigsten lesen oder schreiben konnten und Bilder die Rolle der späteren Bücher übernahmen und sozusagen Geschichten erzählten, woher sollten sie wissen, wenn sie eine Frau mit einem Salbentopf sahen, welche von den beiden salbenden Damen gemeint war, und so hat man sie eben zu einer verschmolzen. Dass im Jahre 1324 dann auch noch ein Heim für gefallene Mädchen nach ihr benannt wurde und in der Folgezeit überall Magdalenenheime entstanden, hat die Sache nicht gerade besser gemacht. Der Ruf ihrer sexuellen Unmoral hängt ihr seit dem Mittelalter bis heute an - bis in die heutige, moderne Literatur, z.B. finden wir das Thema in dem Roman Maria Magdalena von Marianne Fredriksen, in der modernen Musik von Webber: Jesus Christ, Superstar) und ganz bestimmt spukt es auch in den Köpfen ganz normaler Christen herum.
Unser Bild ist geprägt von jungen, verführerisch schönen Magdalenen, die mit verrutschter Kleidung und mit lang herabwallenden, oft sogar noch blonden Haaren unter dem Kreuz knien. Unbedeckte, offene Haare, halbentblößter Busen – das kann doch nur eine Hure sein! Dann gibt es auch noch die gegenteiligen Darstellung: Maria, dargestellt als große Büßerin, streng verhüllt, asketisch, manchmal sogar mit einem dichten fellartigem Haarbewuchs am ganzen Körper, was ihre Reize in männlichen Augen sicher erheblich schmälert. Was hatte sie denn so Schweres zu büßen, welche Todsünde konnte eine Frau, die nicht gerade eine Hexe oder Giftmörderin war, denn sonst noch begehen außer der Hurerei? - Es gibt Gerüchte, die sich, allen Gegenbeweisen zum Trotz, dauerhaft halten, vielleicht weil sie eu Geschmäckle habe, wie der Schwabe sagt und damit viel interessanter und prickelnder sind als die langweilige, nüchterne Wahrheit, vielleicht auch nur, weil man’s mal so gehört, gelernt und gedankenlos übernommen hat und die altgewohnten Vorstellungen nur ungern aufgibt.
Nachdem wir uns im Januar 93 im KV endgültig für Magdalenengemeinde entschieden hatten und zu diesem Thema im Juli 93 eine Gemeindeversammlung einberiefen, mussten wir uns genau mit diesen Vorurteilen auseinander setzen. Natürlich widersprachen wir vehement, und da das nicht bei allen half, gingen wir zum Gegenangriff über: Haben wir das Recht, so argumentierten wir, selbst wenn die Vorwürfe stimmten, unseren Stab über die Frau zu brechen, wenn Jesus sie doch frei gesprochen hatte, sie nicht nur in seiner Nähe duldete, sondern im Gegenteil zwischen beiden offenbar eine recht enge Beziehung bestand? Zugegeben, das war ein Totschlagargument, denn wer würde es wagen – zumindest öffentlich – die Entscheidung Jesu zu kritisieren. Dagegen ließ sich also wenig sagen, und so nach und nach verstummten alle Bedenken. Einen großen Anteil daran hatte aber vor allem das kleine Sprech-Theaterstück, das Prof. Rolle über Maria Magdalena geschrieben hat und das auf intelligente, launische Weise mit allen Vorurteilen aufräumte, (und das ich gern mal wieder hören würde). Der neue Name Magdalenengemeinde fand in der Gemeinde immer mehr Akzeptanz. Ich sage ganz bewusst: In der Gemeinde! Denn nun begann das eigentliche Drama: die Kirchenverwaltung kam ins Spiel!
Ich verstehe zwar bis heute nicht, warum irgendwelche Bürokraten oder Juristen in der Kirchenverwaltung darüber zu entscheiden haben, wie eine Gemeinde sich nennen will, aber Tatsache ist, dass unser Wunsch zu einem lebhaften Schriftwechsel mit Darmstadt führte, der leider nicht mehr erhalten ist.
Es begann mit dem Verweis, wir wären doch 20 Jahre ohne Namen ausgekommen, es bestände also keinerlei Notwendigkeit einer Änderung. Diesen Hieb konnten wir Gott sei Dank glänzend parieren, es gab nämlich einen Präzedensfall, die Bretzenheimer Gemeinde hatte sich auch erst nach langen namenlosen Jahren Philippusgemeinde genannt.
Als nächstes wurde der Name Magdalenengemeinde abgelehnt. Meine Vermutung ist, die Herren da oben hatten auch die Magdalenenheime im Hinterkopf und fanden den Namen anrüchig. Das konnten sie natürlich nicht zugeben, also führten sie als Grund an, dass der Name Magdalena sich aus dem Ortsnamen Magdala entwickelt hätte, folglich auch ein Ortsname wäre und als solcher für den Namen einer Gemeinde nicht in Frage käme. Verstehen Sie, warum es dann in Mainz eine Emmausgemeinde gibt?
Na ja, nach langem Hin und Her bekamen wir im Januar 1994 den Namen genehmigt, den wir seitdem tragen: Ev. Maria-Magdalena-Gemeinde Mainz-Lerchenberg, allerdings erst, (und diesen Satz müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen) nachdem Maria Magdalena als Auferstehungszeugin nachgewiesen werden konnte (Joh. 20,11ff), wie Frau von Kalckreuth in ihrer Gemeindebeschreibung im Mainzer Kirchenführer ironisch zitiert. Ja, wer in Darmstadt kannte denn da seine Bibel nicht? Einen Nachweis erbringen, nach 2000 Jahren! Für mich klingt dieser Satz nach Bonnewitz oder Babenhäuser Pfarrerkabarett.
Maria-Magdalena-Gemeinde, ich finde, es ist ein schöner Name, wenn auch nicht so geläufig auszusprechen wie Magdalenengemeinde und ganz sicher umständlicher zu schreiben. Ich denke, jeder der Pfarrer Reichard kennt, kann sich vorstellen, dass ein so aktiver Mensch wie er nur zähneknirschend so viel unnütze Zeit an Namensschreibung verschwendet, nicht wahr, Herr Pfarrer? Dass es darüber hinaus noch irgendwelche andere Probleme mit diesem Namen gegeben hat, davon ist mir nichts zu Ohren gekommen. Schade nur, dass die Namensgeberin bis jetzt nirgendwo auf dem Gelände Gestalt annimmt. Ich persönlich fände es schön, wenn irgendwann einmal (Wenn wir einmal reich sind,… ) irgendein Künstler das Thema Maria-Magdalena aufgriffe und gestaltete. Bis dahin haben wir aber zumindest ein sehr schönes, ausdrucksvolles Logo.
Vortrag zum 40jährigen Jubiläum der ev. Maria-Magdalena-Gemeinde von Frau Weber, damals KV-Mitglied